Rote Wassersäcke sind wie neue Kartoffeln

Die Welt, 06.05.1999

Trotz Frischwaren - im Frühling erreicht die Lebensmittel-Verwirrung ihren Höhepunkt

Rote Wassersäcke sind wie neue Kartoffeln
Von Holger Kreitling

Lacht die Sonne, denkt der Mensch ans Essen. Und im Augenblick lacht die Sonne täglich. Ernährung ist ein wichtiges Thema. Besonders, wo jetzt im Frühjahr alles wieder erblüht, wächst und gedeiht. Leider ergibt sich durch die Ganzjahresversorgung mit frischem Obst und Gemüse ein eklatanter Wissensverlust. Holland und Spanien sind die Urheber: Der Mensch vergißt, was er ißt. Oder essen sollte. Gartenbesitzer werden immer weniger. Die Verbraucherverwirrung ist in vollem Gange.

Aber die moderne Gesellschaft weiß sich zu helfen. Zahlreiche Ratgeber bieten ihre Hilfe an. So klärt der Verbraucherdienst "aid" in Bonn jetzt auf, daß sich frische Erdbeeren an ihrem Glanz erkennen lassen. Früchte, die zu lange gelagert haben, erscheinen hingegen dunkelrot und matt. Ein guter Hinweis, auch wenn es bis zur deutschen Erdbeerzeit noch ein paar Tage hin ist (Juni).

Brandaktuell ist auch der Hinweis der Verbraucher-Initiative, ebenfalls aus Bonn. Demnach sind Frühkartoffeln zwar frischer als gelagerte Sorten, sie enthalten aber weniger Mineralstoffe. Nicht gesund genug! Auch können die sehr frühen Sorten stärker mit gesundheitsschädigendem Nitrat belastet sein. Jetzt ist Spargelzeit. Gesundheitsbewußte Esser sollten also die Kombination mit alten Kartoffeln in Erwägung ziehen.

Kinder wiederum mögen weder Spargel noch alte Kartoffeln besonders gerne; von der Pommes-frites-Version einmal abgesehen. Sie wollen vor allem Spaß. Und zum Spaß gehören - das ganze Jahr über - Ketchup, Fischstäbchen und andere Dinge, die nicht unmittelbar aus der Erde kommen. 59 Prozent der Kinder legen auf gesunde Ernährung keinen Wert, meldet das Münchener Meinungsforschungsinstitut Iconkids & Youth. Der Tip, den Kindern einfach zu sagen, daß Obst und Gemüse essen Spaß macht, ist sehr gut gemeint.

Es wäre demnach denkbar, daß wir uns alle schlecht ernähren. Je größer das Angebot an Lebensmitteln ist, desto mehr machen wir falsch. Man denke nur an das Gemüse, welches ein Experte kürzlich im Radio als "rote Wassersäcke" bezeichnete, als er über Tomaten redete. Vor lauter Verunsicherung essen wir irgendwann nur noch Tiefkühlkost.

Letzte Meldung: Goldhamster lieben eine abwechslungsreiche Ernährung. Sie sind keineswegs reine Vegetarier. Der Industrieverband Heimtierbedarf aus Düsseldorf schlägt deshalb vor, den Tierchen ruhig einmal gebratenes Hackfleisch vorzusetzen. Das wird die zahlreichen goldhamsterbesitzenden Kinder aber freuen. Mensch und Tier: mehr Gemeinsamkeiten als gedacht.

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