Die Welt, 09.11.2000

Das „Wie“ des Alterns bleibt selbstbestimmt

Forscher bestätigen den Einfluss der Lebensstile — Ergebnisse aus Tierversuchen sind nicht übertragbar

Von Sonja Kastilan

Heidelberg — Altern, ohne alt zu werden — diese Hoffnung haben viele angesichts der zunehmenden Lebenserwartung und der Fortschritte in Medizin und Forschung. Im letzten Jahrhundert haben die Deutschen beispielsweise etwa 30 Lebensjahre dazugewonnen. Doch trotz aller therapeutischen Möglichkeiten von der Herztransplantation bis hin zur Schönheitsoperation liegt das „Wie“ des Alterns größtenteils in den eigenen Händen.

„Wer gesund und zufrieden ein hohes Alter erreichen möchte“, der hat dafür nach Christoph Rott vom Deutschen Zentrum für Altersforschung in Heidelberg heute die besten Aussichten. Die meisten der 60-Jährigen können dies auch wirklich genießen, wie Studien zeigen: „Sie empfinden ihr Alter als eine Lebensphase mit wenig Einschränkungen und neuen Freiheiten“, so Rott auf einem Symposium des Danone Institutes für Ernährung in Heidelberg. Der Altersforscher wies außerdem darauf hin, dass die geistigen Fähigkeiten bis zum 75. Lebensjahr im Wesentlichen intakt bleiben und Einbußen durch Training ausgeglichen werden können. Von Vorteil sei eine komplexe und intellektuell anregende Umgebung und ein flexibler Lebensstil in den mittleren Jahren. Nicht zu vergessen: körperliche und soziale Aktivitäten mit Sport, Hobbys und Ausflügen. „Die persönlichen Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Lebensstilen werden besonders im Alter deutlich“, erklärte Rott. Es gebe daher nicht „den“ 80- oder 100-Jährigen.

Karl-Heinz Krause vom Institut für Altersforschung an der Universität in Genf untersucht die Biologie des Alterns. Er sieht Altern als universelles Phänomen, das Mensch, Tier, Pflanzen, aber auch die unbelebte Materie betreffe. Freie Sauerstoffradikale macht er als „zentrale schädigende Faktoren“ für die Altersprozesse verantwortlich, aber ebenso andere Faktoren wie die Zusammenlagerung von Proteinen, wie es zum Beispiel bei der Alzheimer-Krankheit verstärkt der Fall ist. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, besitze der Körper biochemische Hilfen wie Antioxidantien, DNS-Reparaturmechanismen oder den programmierten Zelltod.

Aus diesem Grund entwickeln Wissenschaftler neue Substanzen, die diese Abwehr der Radikale unterstützen sollen. So konnte mit einer Art „Super-Vitamin C“ bereits die Lebensspanne des Modellwurmes Caenorhabditis elegans um bis zu 50 Prozent verlängert werden. Bei Wurm und Fliege fanden die Forscher schon so manches Altersgen. Doch „diese Ergebnisse sind nicht so einfach auf den Menschen übertragbar“, warnt Krause vor übereilten Hoffnungen. Ebenso wenig gebe es bislang überzeugende Daten dafür, dass sich das Altern durch Hormonspritzen aufhalten lasse. Und auch Hungerversuche sind nicht unbedingt der goldene Weg: Im Tierexperiment lebten die auf Schmalkost gesetzten Mäuse zwar länger, sie wurden aber dadurch unfruchtbar.

Wie sehr das Gehirn altert, hängt unter anderem von oxidativem Stress ab — den Angriffen durch freie Sauerstoffradikale, die im Tabakrauch und Autoabgasen vorhanden sind und durch UV-Bestrahlung entstehen können. Hilfreich sind dann schützende Antioxidantien aus der Ernährung, wie die Vitamine E und C, Beta-Karotin, Folsäure und pflanzliche Flavonoide. Entsprechend besser ist das Erinnerungsvermögen und die Reaktionszeit, wenn diese Nährstoffe in ausreichender Menge verzehrt werden. Eine Basler Studie, die seit 1960 mit etwa 400 Freiwilligen läuft, konnte diesen Zusammenhang feststellen. Entsprechend negativ wirkt sich eine Fehl-Ernährung aus. Das bedeutet allerdings nicht, dass Ältere regelmäßig Vitamintabletten schlucken müssen. Sie sollten aber verstärkt auf eine ausgewogene Ernährung achten, was sich schon viel früher empfiehlt und nicht erst im Alter.

Altersforscher Krause hofft, dass in Zukunft nicht eine globale Lebensverlängerung angestrebt wird, sondern dass bestimmte Aspekte des Alterns erfolgreich verlangsamt werden können.

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