"Vier von fünf
Krebserkrankungen umweltbedingt"
Auslöser schwer zu
identifizieren / In der Nahrung werden
außer Karzinogenen auch viele Protektoren
entdeckt
Es gibt viele Belege
dafür, daß durch gesunde Ernährung Krebs
vorgebeugt werden kann. Ernährung war daher auch
ein Schwerpunkt bei der Konferenz zur
Krebsepidemiologie der National Academy of
Sciences in Washington. In der Praxis hapert es
jedoch oft an der Umstellung von
Ernährungsgewohnheiten.
Von Ronald D. Gerste
WASHINGTON D.C. Der
englische Arzt Percival Pott beschrieb 1775 eine
auffallende Häufung von Skrotalkrebs bei
Schornsteinfegern und äußerte den Verdacht,
daß der Kontakt mit Ruß entscheidend für die
Ätiologie des in der übrigen Bevölkerung
seltenen Leidens sein müsse. Das war der Beginn
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
krebserregenden Faktoren in der Umwelt.
Heute ist das menschliche
Genom entschlüsselt, werden Beziehungen zwischen
Genen und bestimmten Malignomen erkannt - und
doch, die Genetik allein erklärt bei weitem
nicht die gravierenden Unterschiede in der
Krebsmorbidität zwischen einzelnen Nationen. 80
Prozent der malignen Erkrankungen in den USA, so
der Krebsepidemiologe Professor Joseph Fraumeni
vom National Cancer Institute in Bethesda, sind
auf Umweltfaktoren zurückzuführen. Und nicht
immer ist der Auslöser so einfach zu
identifizieren wie beim Bronchialkarzinom, das
längst zur Krebsart Nummer Eins bei
amerikanischen Frauen geworden ist - und dies
trotz der strengen Nichtraucherschutzgesetze in
den USA.
Tabak ist der mit Abstand
wichtigste vermeidbare Risikofaktor für eine
Krebserkrankung mit einigem Abstand gefolgt von
Ernährungsgewohnheiten und mit größerer
Distanz zu Alkohol, Infektionen und
berufsbedingten Karzinogenexpositionen. In einem
Land mit einer astronomisch hohen Rate von
Fettleibigen steht die Ernährungsproblematik
auch bei einer Konferenz zur Krebsepidemiologie,
wie jener, die jetzt von der National Academy of
Sciences in Washington veranstaltet wurde, im
Vordergrund. Wenngleich eine große Zahl von
potentiellen Karzinogenen in der Nahrung
identifiziert ist wie Aflatoxin, Nitrosamine und
polyzyklische Kohlenwasserstoffe, so sind viele
Details der Krebsentstehung noch unerforscht, vor
allem die Rolle genetischer Faktoren.
Über die Entstehung von
Krebs bei Kindern weiß man nicht viel
Auch über die Entstehung
von Malignomen bei Kindern weiß man nicht viel.
Es gibt Hinweise darauf, daß der Konsum von mit
Nitritverbindungen behandelten Fleisches während
der Schwangerschaft - etwa als "Hot
Dogs" - mit einer erhöhten Rate von
Hirntumoren bei Neugeborenen einhergeht. Eine
Langzeitstudie zu Krebshäufigkeit bei Kindern in
Abhängigkeit von Ätiologie und Umweltfaktoren
wird zur Zeit vom National Cancer Institute
geplant.
Bei Erforschung der
biochemischen Wirkungen von freien Radikalen
wurden nicht nur viele Karzinogene, sondern sogar
noch mehr Protektoren entdeckt. Mehr als 150
große Studien über Ernährungsgewohnheiten und
Krebsmorbidität sind ausgewertet worden und
immerhin 82 Prozent von ihnen belegten eindeutige
niedrigere Erkrankungsraten für diverse
Malignome, wenn Gemüse und Obst bei der
Nahrungsaufnahme dominieren; unter jenen
Neoplasien, die mit einer derartigen Diät
signifikant seltener aufgetreten, waren Karzinome
von Pharynx, Ösophagus, Lunge, Magen, Kolon und
Rektum. Inzwischen sind Tausende von
"Phytonutrients" wie Flavonoide,
Karotenoide, Organosulfide und Isothiocyanate
identifiziert worden, die als Radikalfänger und
damit protektiv wirken können.
Ernährungsrisiken am
besten beim Kolonkarzinom belegt
Das mit Hinsicht auf
Ernährungsgewohnheiten wohl am besten erforschte
Malignom dürfte das Karzinom des Kolons oder des
Rektums sein. Das Risiko, an dieser Krebsart zu
erkranken, hängt eng zusammen mit einer
positiven Familienanamnese, dem Verzehr von
Fleisch und Alkohol sowie dem Rauchen. Umgekehrt
ist eine statistisch signifikante Reduktion der
Morbidität assoziiert mit dem Genuß von Obst
und Gemüse, mit körperlicher Aktivität und mit
der Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmern
(NSAID).
So belegen epidemiologische
Studien eine um 40 bis 50 Prozent reduzierte Rate
von kolorektalen Karzinomen bei Patienten, die
regelmäßig Wirkstoffe dieser Substanzklasse
einnehmen - erklärt Dr. R. DuBois von
der Vanderbilt University in Nashville im
US-Staat Tennessee damit, daß
Azetylsalizylsäure und andere Vertreter dieser
Gruppe sowohl die Aktivität der Cyclooxygenase-1
(COX-1) als auch der COX-2 hemmen.
Da vor allem COX-2-Spiegel
bei mehreren soliden Tumoren erhöht sind,
dürfte dieses Enzym ein sinnvolles molekulares
Ziel der Krebsprävention sein - und dies nicht
nur im Enddarm: Aktuelle klinische Studien
belegen eine deutlich schlechtere Prognose auch
für Lungenkrebs, wenn der COX-2-Spiegel erhöht
ist. Aus diesem Anlaß werden COX-2-Hemmer zur
Zeit auf ihre Fähigkeit getestet,
Krebserkrankungen vorzubeugen oder die Patienten
zu therapieren.
Mindestens ebenso wichtig
für die Prävention dürfte die Umstellung der
Ernährungs- und Lebensgewohnheiten sein. Diese
zu predigen, ist bekanntermaßen eine der
wichtigsten ärztlichen Aufgaben - und in der
Nichtbefolgung liegt eine der größten
Frustrationsquellen dieses Berufs.
|